Vestibulär evozierte myogene Potenziale (VEMP) sind ein verlässlicher und nicht-invasiver neurophysiologischer Test zur Beurteilung der Funktionen der Otolithenorgane – Utriculus und Sacculus – im Innenohr. VEMP wird in zwei Grundtypen unterteilt: das zervikale VEMP (cVEMP) und das okuläre VEMP (oVEMP). Während cVEMP die Funktionen des Sacculus über den Musculus sternocleidomastoideus untersucht, beurteilt oVEMP die Funktionen des Utriculus anhand der Reaktionen der Augenmuskulatur. Damit liefert es wichtige Informationen über die Reflexbögen des vestibulären Systems, an denen Utriculus und Sacculus beteiligt sind, sowie über deren Funktionsfähigkeit.
Als differentialdiagnostischer Test ist VEMP gerade bei Funktionsstörungen des vestibulären Systems, etwa bei einer Dehiszenz des oberen Bogengangs oder bei Morbus Menière, besonders wertvoll für die Diagnosestellung. Dank seiner Zuverlässigkeit und des hohen Patientenkomforts nimmt VEMP in der modernen Medizin einen wichtigen Stellenwert bei der detaillierten Analyse der Funktionen des vestibulären Systems ein.
VEMP-Test – Was ist das? | Ein Test zur Beurteilung der Strukturen Utriculus und Sacculus im Innenohr sowie der damit verbundenen Nervenbahnen im Gleichgewichtssystem. |
Für wen geeignet? | – Personen mit Schwindel (Vertigo) und Gleichgewichtsstörungen – Patienten mit Verdacht auf Morbus Menière – Im Rahmen der Abklärung einer vestibulären Migräne – Bei Verdacht auf Vestibularneuronitis (Entzündung des Gleichgewichtsnervs) – Bei Verdacht auf Fisteln im Innenohr (z. B. Dehiszenz des oberen Bogengangs) – Bei neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) zur Untersuchung der vestibulären Funktionen |
Wie läuft der Test ab? | 1. Elektroden werden an Hals, Gesicht oder Augenmuskulatur angebracht. 2. Über Kopfhörer werden laute Geräusche (Klicks oder kurze Tonimpulse) eingespielt. 3. Die Reaktionen der Gleichgewichtsstrukturen im Innenohr und der Muskeln werden aufgezeichnet. 4. Die gemessenen Daten werden am Computer ausgewertet. |
Arten von VEMP | – cVEMP (zervikales VEMP): Bewertet die Funktion des Sacculus und des unteren Anteils des Vestibularnervs, Aufnahme über die Halsmuskulatur (SCM). – oVEMP (okuläres VEMP): Bewertet die Funktion des Utriculus und des oberen Anteils des Vestibularnervs, Aufnahme über die Augenmuskulatur. |
Normale Befunde | – Beidseitig symmetrische Muskelantworten. |
Auffällige Ergebnisse | – Fehlende oder schwache Antwort: Hinweis auf eine Schädigung des Vestibularnervs oder eine Innenohrerkrankung. – Einseitig verringerte Reaktion: Kann auf Morbus Menière, Vestibularneuronitis oder eine Schädigung im Innenohr hindeuten. – Übersteigerte Reaktion: Könnte auf eine Anomalie wie das Syndrom der Dehiszenz des oberen Bogengangs hinweisen. |
Vorteile | – Liefert detaillierte Informationen zum Gleichgewichtssystem im Innenohr. – Besonders effektiv zur Differenzierung von Vestibularnervschäden. – Unterstützt die Beurteilung von Hirnstamm- und ZNS-Erkrankungen. |
Wann angezeigt? | – Bei starkem oder wiederkehrendem Schwindel (Vertigo) – Bei Gangunsicherheiten oder Problemen beim Gehen – Bei Verdacht auf Erkrankungen des Innenohrs (Morbus Menière, Vestibularneuronitis, Fistel, Migräne etc.) |
Was ist VEMP und wie funktioniert es?
VEMP bezeichnet vestibulär evozierte myogene Potenziale, also die Antworten des Sacculus bzw. Utriculus im Innenohr, die durch einen hochintensiven akustischen Stimulus ausgelöst werden. Diese Antworten geben Rückschluss auf die entsprechenden Reflexbögen: den vestibulokollischen (zervikalen VEMP bzw. cVEMP) und den vestibulookulären (okulären VEMP bzw. oVEMP). Die als m-VEMP bekannte Variante findet in der klinischen Praxis weniger Anwendung und kommt eher in Forschungsprojekten zum Einsatz.
Beim cVEMP wird der vom Sacculus ausgehende Bogengang über den inferioren Vestibularnerv mithilfe des Musculus sternocleidomastoideus geprüft. Daraus ergibt sich eine Messung der Sakkulusfunktion. Beim oVEMP werden Augenmuskeln abgeleitet und damit vor allem die Funktion von Utriculus und superiorem Vestibularnerv sowie des vestibulookulären Reflexes beurteilt.
Die hochintensiven akustischen Stimuli aktivieren die Otolithen im Vestibularsystem. Über die entsprechenden Nervenbahnen wird eine Reaktion in der Muskulatur erzeugt, die durch Elektroden aufgezeichnet und analysiert wird. Dadurch lassen sich gezielt Aussagen über bestimmte Anteile des Vestibularsystems treffen.
Zur Geschichte der VEMP
Die Grundlagen des VEMP gehen auf Arbeiten von Bickford und Kollegen aus dem Jahr 1964 zurück, in denen entdeckt wurde, dass Schallstimuli eine Reaktion in den Nackenmuskeln auslösen und das Vestibularorgan beteiligt ist. Im Jahr 1992 belegten Colebatch und Halmagyi mithilfe von Messungen am M. sternocleidomastoideus, dass Schall auch den Sacculus stimulieren kann und bestätigten damit den vestibulären Ursprung dieser Potenziale.
In den folgenden Jahren wurde VEMP zu einem wichtigen klinischen Werkzeug, um z. B. Dehiszenzen des oberen Bogengangs (Superior Canal Dehiscence), Morbus Menière oder Vestibularneuronitis zu diagnostizieren. Die Einführung des oVEMP erweiterte zudem die Testmöglichkeiten, da damit zusätzlich die Utrikularfunktion erfasst werden konnte.
Welche Arten von VEMP-Tests gibt es?
- Zervikales VEMP (cVEMP):
cVEMP beurteilt die Funktion der Sakkulus-Makula und des inferioren Vestibularnervs mithilfe hochintensiver Schallreize. Die afferenten Signale erreichen den ipsilateralen Vestibulariskern im Hirnstamm. Von dort aus hemmen Interneurone den Nucleus spinalis accessorius, was zu einer Hemmung des M. sternocleidomastoideus führt. Während der Messung wird der SCM aktiv angespannt, üblicherweise durch Drehung des Kopfes. Das cVEMP-Signal zeichnet sich üblicherweise durch die beiden Wellen p13 und n23 aus. - Okuläres VEMP (oVEMP):
oVEMP ermöglicht die Beurteilung der Utrikularfunktion und der leitenden Bahnen des oberen Vestibularnervs. Nach Aktivierung des Utriculus werden Signale über den ipsilateralen Vestibulariskern geleitet und kreuzen zur kontralateralen Okulomotoriuskernregion. So wird der M. obliquus inferior aktiviert, weshalb der Patient häufig nach oben blicken soll, um diese Muskeln gezielt anzusteuern. Charakteristisch ist die frühe, negative Welle n10 in der Ableitung von den Augenmuskeln. - Masseter-VEMP (mVEMP):
Dieses Verfahren ähnelt dem cVEMP, nutzt aber die Masseter-Muskulatur zur Ableitung. Dabei steht der vestibulo-masseterische Reflex im Mittelpunkt, bei dem der Sacculus ebenfalls akustisch stimuliert wird. Dieses Vorgehen ist vor allem in der Forschung verbreitet und hat in der Klinik bisher nur eine untergeordnete Rolle.
Bei welchen Erkrankungen hilft der VEMP-Test bei der Diagnose?
Der VEMP-Test ist für viele unterschiedliche vestibuläre Störungen diagnostisch wertvoll. Neben der Beurteilung des Funktionszustands der Otolithenorgane (Sacculus und Utriculus) liefert er Einblicke in die Integrität der zugehörigen Nervenbahnen und Reflexe. Ein besonderer Nutzen zeigt sich bei zwei Krankheitsbildern:
Morbus Menière: Diese Erkrankung äußert sich in plötzlichen Schwindelattacken, Hörverlust, Tinnitus und Druckgefühl im Ohr. Mithilfe des VEMP-Tests lässt sich der Funktionsstatus der Otolithenorgane erfassen; bei Morbus Menière ist häufig eine verminderte Amplitude oder eine verlängerte Latenz beobachtbar, was besonders die unteren Anteile des Vestibularnervs betrifft.
Dehiszenz des oberen Bogengangs (SSDS): Hierbei fehlen knöcherne Anteile über dem oberen Bogengang oder sind zu dünn, was akustisch-vestibuläre Symptome verursacht. Typisch sind deutlich erniedrigte VEMP-Schwellen, wodurch die Erkrankung gut erkannt werden kann.
Außerdem findet der Test Anwendung bei Vestibularneuronitis, otolithären Funktionsstörungen und anderen peripheren Vestibulärerkrankungen. Abweichungen in cVEMP oder oVEMP bieten Hinweise auf den Ausfall bestimmter Vestibularorgane oder Nervenanteile und tragen so zur präzisen Diagnostik bei.
Welche Vor- und Nachteile hat ein VEMP-Test?
Der VEMP-Test ist ein nicht-invasives, zuverlässiges Verfahren, um die Otolithen (Sacculus und Utriculus) zu untersuchen. Zu den wichtigsten Vorteilen gehören die Sicherheit und der Komfort für den Patienten während der Messung. Da es sich um eine komplett nicht-chirurgische Untersuchung handelt, ist die Belastung sehr gering. Außerdem ergänzt VEMP andere vestibuläre Testverfahren wie Kalorik oder Rotationsstuhl und ermöglicht so eine umfassende Bewertung des Gleichgewichtsorgans.
Besonders bei der Diagnosestellung einer überempfindlichen Reaktion, wie sie beim Superior-Canal-Dehiscence-Syndrom auftritt, bietet der VEMP durch niedrige Schwellenwerte eine hohe Aussagekraft. Allerdings können die Messergebnisse von Faktoren wie Alter, Muskelspannung, Elektrodenposition und anatomischen Gegebenheiten des Patienten abhängen. Dies macht die korrekte Durchführung und Auswertung oft anspruchsvoll. Weitere Einschränkungen ergeben sich bei leitungsbedingtem Hörverlust, bei dem ein akustischer Reiz nicht ausreichend übertragen wird und deshalb keine (oder nur stark reduzierte) VEMP-Antwort möglich ist. Für ein verlässliches cVEMP ist zudem eine aktive Muskelkontraktion des M. sternocleidomastoideus erforderlich, was nicht jeder Patient in gleichem Maße leisten kann.

Dr. Audiologist Emel Uğur was born in 1982 in Çanakkale. She worked for 15 years at Istanbul Training and Research Hospital, specializing in Pediatric Audiology, Otologic Diseases, and Vestibular System Disorders. In 2015, she joined the Acıbadem Healthcare Group. She currently works as a Dr. Audiologist at Acıbadem Altunizade Hospital and also serves as a faculty member and program director of the Audiometry Department at Acıbadem University Vocational School of Health Services.
Standort unserer Klinik in Istanbul, Türkei